In vielen Fällen lohnt es sich, gegen einen abgelehnten Pflegegrad oder einen zu niedrigen Pflegegrad Widerspruch einzulegen: Nahezu jeder 3. Widerspruch gegen einen Pflegegrad ist erfolgreich. Das verdeutlicht einerseits, dass die Gutachten des Medizinischen Dienstes anfällig für Fehler sind. Andererseits zeigt es auch, dass das System funktioniert und es sich lohnt, einen Widerspruch einzulegen.
Laut dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. werden in Deutschland jährlich rund 2,9 Millionen Anträge auf Feststellung von Pflegebedürftigkeit gestellt (Stand 2025). Aktuell wird davon fast jeder zehnte Antrag abgelehnt. Die Ablehnung muss jedoch nicht einfach hingenommen werden. Gerade weil viele Bescheide Fehler aufweisen, sind die Erfolgsaussichten bei Widersprüchen und Klagen sehr gut. Dazu müssen Betroffene oder deren Angehörige zuerst Widerspruch bei der Pflegekasse einlegen.
Der Widerspruch muss immer in schriftlicher Form eingereicht werden. Damit Antragsteller, Angehörige oder Pflegekräfte beweisen können, dass sie den Widerspruch innerhalb der Widerspruchsfrist (ein Monat ab Zustellung) abgeschickt haben, sollte das Dokument per Einschreiben mit Rückschein oder per Telefax verschicken. Der Versand des Widerspruchs per E-Mail ist nicht möglich.
Gegen den Bescheid der Pflegekasse kann ab Erhalt einen Monat lang Widerspruch eingelegt werden. Sollte auf dem Bescheid nicht vermerkt sein, dass ein Widerspruch eingelegt werden kann und wo dieser eingelegt werden kann, verlängert sich die Widerspruchsfrist auf ein Jahr.
Der Pflegegrad-Widerspruch kann erst einmal formlos eingereicht werden, um die Frist zu wahren. In dem Widerspruchsschreiben sollten neben dem Hinweis darauf, dass Widerspruch eingelegt wird, auch die Anschrift des Betroffenen, das Aktenzeichen und das Datum des Ablehnungsbescheids aufgeführt sein. Auch sollten Antragsteller unbedingt das Gutachten in schriftlicher Form anfordern. Abschließend muss der Widerspruch unterschrieben und mit Datum und Ort versehen werden.
Die Erfolgsaussichten des Widerspruchs hängen im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen von den Argumenten für den Widerspruch und zum anderen von der Wahrscheinlichkeit für einen höheren Pflegegrad.
Die Pflegekasse entscheidet immer auf Grundlage des Gutachtens des MDK. Wer mit dem Bescheid unzufrieden ist, sollte immer beim Gutachten ansetzen und auf mögliche Fehleinschätzungen aufmerksam machen. Um die Pflegebedürftigkeit nachweisen zu können, wird im besten Fall ein Pflegetagebuch geführt. Eine Kopie dessen kann dem Widerspruch beigefügt werden. Mithilfe des Pflegetagebuchs können Betroffene ihre Pflegebedürftigkeit selber einschätzen und dokumentieren, in welchen Situationen Unterstützung benötigt wird.
Seit Anfang 2017 gilt das sogenannte „Neues Begutachtungsinstrument (NBI)“. Dieses Instrument besteht aus 64 Fragen, die mit Punkten bewertet werden. Je niedriger die Punktzahl ist, desto geringer ist die Hilfebedürftigkeit. In dem Pflegetagebuch können alle 64 Fragen beantwortet werden. Die Antworten können mit der Einschätzung des MDK verglichen werden, so dass auf den ersten Blick ersichtlich ist, an welchen Stellen Diskrepanzen vorliegen.
Wenn Betroffene im Gutachten Fehleinschätzungen finden konnten, sollte als Nächstes überprüft werden, wie viele Punkte zum höheren Pflegegrad fehlen. Auch wenn nur eine Frage anders beantwortet wurde, reicht dies sehr oft schon aus, um die nächsthöhere Stufe zu erreichen. Wenn der Abstand zwischen der Punktzahl im Gutachten und dem nächsthöheren Pflegegrad gering ist, kann sich ein Widerspruch lohnen.
Der Widerspruch gegen den Pflegegrad sollte sorgfältig vorbereitet werden. Am besten werden alle geeigneten Dokumente gesammelt und noch einmal gelesen. Gegebenenfalls fallen Punkte auf, aufgrund derer doch noch der gewünschte Pflegegrad erzielt werden kann. Zu den Unterlagen, die für den Widerspruch geprüft werden sollten, gehören alle medizinischen Unterlagen, wie zum Beispiel Atteste, medizinische Gutachten, Arztbriefe und Entlassungsberichte von Krankenhäusern und Ärzten. Auch die schriftliche Empfehlung des Pflegeberaters kann dem Widerspruch ergänzend beigefügt werden. Außerdem kann es hilfreich sein, konkrete „Vorher-Nachher-Beispiele“ zu dokumentieren. So kann zum Beispiel mithilfe eines Pflegetagebuchs explizit darauf hingewiesen werden, in welchen alltäglichen Situationen Hilfe benötigt wird.
Im ersten Widerspruch gegen den Pflegegrad, der binnen eines Monats eingereicht werden kann, muss keine Begründung aufgeführt werden. Es genügt der Hinweis darauf, dass der Entscheidung widersprochen wird. Antragsteller sollten die Zeit nutzen und sich bereits in dem Monat nach dem Erhalt des Bescheids auf die Widerspruchsbegründung vorbereiten. Dennoch gilt im Sozialrecht der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, dass die Pflegekasse den Sachverhalt ermitteln muss und nicht der Antragsteller. Dennoch bietet es sich hier natürlich an, der Gegenseite eigene Gründe darzulegen.
Wenn die Pflegekasse den Widerspruch ablehnt, besteht die Möglichkeit, binnen eines Monats Klage vor dem Sozialgericht einzureichen. Die Klageschrift muss von einem Rechtsanwalt für Sozialrecht eingereicht und unterzeichnet werden. Die Klage ist für Antragsteller nicht immer mit Kosten verbunden. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat oder Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen kann, muss nichts bezahlen.
Da sich die Pflegekasse bereits bei einem Widerspruch anwaltlich beraten lässt, ist es empfehlenswert, bereits im Widerspruchsverfahren die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen.
Ein erfahrener Anwalt für Sozialrecht übernimmt für Sie die folgenden Aufgaben: